VERBORGENES LICHT [Kurzgeschichte]
Jeden Abend umschließt mich eine Dunkelheit, eine Finsternis, die mich all das Licht vergessen lässt. Sie greift nach mir mit eisigen Krallen, denen ich mich nicht entziehen kann, die mich ängstigen und gleichzeitig faszinieren. Umschlingen sie meinen Körper, umspielen die Schatten meinen Hals, macht sich ein dumpfes Gefühl in mir breit. Trauer, nichts als Trauer.
Eine dumpfe Trauer, schwarz und so finster, dass ich glaube, der Unendlichkeit gegenüberzustehen. Die Gefahr lässt meine Gedanken langsamer werden und salzige Tränen in meine Augen steigen. Tränen, die langsam an meinen Wangen hinunterlaufen, bis sie mein Kinn erreicht haben, sich von dort lösen und auf den Boden fallen. Ein einfaches Plitsch-Platsch, auf das weitere Tränen folgen, die genau den gleichen Zyklus durchlaufen.
Ein Finger aus Schatten hebt mein Kinn und lässt mich denken, in schwarze Augen zu schauen, die genau das sind, das ich verspüre. Ja, dann weiß ich, dass ich alleine bin. Komplett allein und das werde ich immer sein, das verspricht mir die Finsternis.
Sie verspricht mir keine Besserung, keine Hilfe, sie verspricht mir, dass sie ehrlich zu mir sein wird, es mit diesem Versprechen auch ist. Sie ist die Einzige, die ehrlich zu mir ist. Die anderen lügen mich nur an, benutzen mich für ihre Zwecke. Ihnen bin ich egal. Sie sind mir egal. Ihr bin ich nicht egal. Sie ist mir nicht egal.
Dieses Gefühl, verstanden zu werden, lässt mich schließlich den Verstand verlieren, macht mich rasend und erfüllt mich mit einer seltsamen Zufriedenheit, wie ich sie sonst nie verspüre.
Die Dunkelheit umschlingt mich komplett, umgibt mich, fast verspielt schweben die Schatten um mich, verformen sich und zeigen immer wieder die Gesichter von denen, die ich enttäuscht habe. Die, die Erwartungen hatten, denen ich nicht entsprechen kann.
Sie zeigen die Bilder und führen mir damit vor Augen, dass niemand damit zufrieden ist, wie ich bin und dass sie, als ich versuchten, mich zu ändern, alles nur für einen schlechten Scherz hielten, mich nicht ernst nahmen. Dass sie mich für einen Scherz halten und mich nicht akzeptieren.
Ich versuche, die Stimmen in meinem Kopf zu ignorieren, die mir zurufen, ich solle aufgeben, doch- Ich bin eine Kämpferin. Trotz allem. Ich habe keine Zeit, zu sterben; keine Zeit, zu trauern; keine Zeit, mein Leben zu hassen. Die Hoffnung verbirgt sich hinter der Finsternis und damit weit, weit weg, nur ist sie nicht unerreichbar. Aber … will ich die Dunkelheit zerbrechen, einfach zersplittern lassen? Sie ist für mich da, im Gegensatz zu allen anderen, sie umarmt mich, wenn ich verzweifle, nicht mehr weiterweiß, umspielt mich, wenn ich meinen sonst verborgenen Gefühlen endlich freien Lauf lasse.
Nein. Ich gebe nicht auf. Ich springe einfach durch die Dunkelheit, renne durch die Schattenwand, werfe sie um. Kämpfe. Irgendwann muss die Finsternis die Hoffnung, die sie so lange vor mir verborgen hat, freigeben. Dieses irgendwann ist jetzt, ich will keinen Augenblick länger auf mein Happy End – hoffentlich ohne das End – warten.
Ich habe endlich verstanden, dass ich meine eigene Freundin sein kann. Ich brauche niemanden, der mich umsorgt, sich um mich kümmert und mich liebt. Ich brauche einfach nur mich. Es ist egal, ob mich alle nur als dumm abstempeln, ich weiß es besser als sie.
Ich rüttele an den Schatten, die wie Gitterstäbe waren, bringe die Willenskraft auf und sie zerspringen, verziehen sich einfach. Verpuffen.
Meine Einsamkeit ist plötzlich weg, genau wie die Dunkelheit, die Schatten, Trauer, der Kummer und Schmerz. Mir ist jetzt klar, dass die Finsternis entgegen ihrem Versprechen gelogen hat. Ich habe jemanden, der für mich da ist und mich nicht im Stich lässt: Mich selbst.
Leonie Lena Strobel