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Das Mathe-Monster

Einige der unangenehmsten Kindheitserinnerungen, die ich habe, involvieren mich selbst, meine Vater, einen Stoß karierten Papiers und niemals enden wollende Samstagnachmittage. Mathe lernen mit Papa. Da kommt Freude auf. Was mit dem Versprechen „Wir machen nur eine Stunde!“ begann, endete eigentlich immer mit Tränen und Streit. Prägende Jahre.  
Aber auch als ich älter wurde, anfing, selbst für Klausuren zu lernen und meistens sogar relativ passable Noten schrieb, nie versetzungsgefährdet war – der Hass auf Mathe blieb. 
Morgen schreibe ich die letzte reguläre Mathematikklausur meines Lebens. In eineinhalb Monaten das Mathe-Abi. Ich habe Angst. Vor der Klausur morgen – wegen der ich mich schon seit einer Woche sorge – und wegen des Abiturs. Das eigentlich noch weit genug in der Zukunft liegt, dass man entspannt darauf zugehen und sich ausreichend vorbereiten könnte. Dennoch habe ich konstant das Gefühl, viel zu wenig für Mathe zu machen, egal, was die Menschen um mich herum mir sagen. Fakt ist: Mathe stresst mich. 
Und ich bin nicht allein. Egal mit wem ich rede, Mathe ist das große Thema. Egal ob Abi, Klausur oder einfach normaler Unterricht, alle hassen Mathe. So war es schon vor unserem Jahrgang und so wird es vermutlich auch immer sein. Aber wieso hat das Fach diesen unfassbar schlechten Ruf? 

Grundsätzlich gibt es nicht nur den einen Faktor, der Mathe zu der Qual macht, die es für viele Schüler ist. Stattdessen spielen verschiedene Aspekte zusammen, die dafür sorgen, dass das Fach für viele so schwer und kompliziert wird, dass es nicht mehr zu bewältigen ist.  

Einer davon ist der Realitätsbezug. Im ersten Jahr am Gymnasium lernen Fünftklässler in Biologie die Anatomie des Hundes kennen. Beziehen können sie dies dann auf das eigene Haustier, Hunde in Filmen, oder welche, die sie auf der Straße sehen. In Deutsch beginnen sie mit Groß- und Kleinschreibung – finden können sie die in jedem Buch und Magazin, auf Anzeigetafeln oder Straßenschildern. Doch wo findet man im Alltag die schriftliche Multiplikation? Wann, wenn nicht in der Schule, wird die Punkt-vor-Strich-Regel gefragt?  
In der Unterstufe hat man immerhin noch die schönen Bildchen im Mathebuch. Kuchen und Pizzen, die geviertelt und geachtelt werden, Dosen mit Suppe drin, deren Volumen berechnet werden muss. Damals habe ich mir die Zeit im Unterricht damit vertrieben, im Buch nach meinem Lieblingsessen zu suchen. Das Verständnis hat dort schon gefehlt.  
Doch in den höheren Stufen verschwinden auch die Bildchen. An ihre Stelle rücken Analysis und lineare Algebra. Und allerspätestens an diesem Punkt geht jede Verbindung zum Alltag verloren. Wie also sollen Schüler, besonders in jüngerem Alter, den Bezug zu einem Fach herstellen, dem sie außerhalb der Schule nicht begegnen? Eine solche Verbindung erfordert Maße an abstraktem Denken, die viele Schüler nicht aufbringen können, oder wollen. 

Aber nicht nur der fehlende Realitätsbezug sorgt für den allgemeinen Mathe-Hass unter deutschen Schülern. Eine andere Komponente ist die Art, wie Mathematik strukturiert ist.  
Natürlich bauen Fächer in der Schule grundsätzlich immer aufeinander auf. Um im Englisch-Abi Aufsätze über ‚Science and Technology‘ schreiben zu können, muss man erst einmal der englischen Sprache und Grammatik mächtig sein. Um zu erklären, wie der Erste Weltkrieg endete, muss man zuerst wissen, warum er überhaupt begann.  
Der Unterschied hierbei ist jedoch, dass man das benötigte Wissen entweder konstant im Unterricht übt – so das Sprechen und Schreiben in Englisch – oder durch einfaches Nachlesen schnell wieder auffrischen kann – etwa in Geschichte. In Mathe aber funktioniert das nicht. Denn um, besonders auf dem Weg ins Abitur, Themenblöcke wieder zu verstehen, benötigt es meistens erst ewige Rechnerei, vieler Erklärungen und langer Wiederholung.  
Allerdings kommt ein Thema in Mathe, wenn es einmal abgeschlossen wurde, oft jahrelang nicht mehr im Unterricht vor und gerät dadurch in Vergessenheit. Dadurch entstehen riesige Wissenslücken, die oft erst dann bemerkt werden, wenn es schon zu spät ist. Das vergessene Wissen dann zusätzlich zum aktuellen Stoff wieder nachzuholen und zu festigen ist beinahe unmöglich.  

Beide dieser Faktoren – und viele andere – tragen zum allgemeinen Mathe-Hass deutscher Schüler bei. Allerdings gibt es eine Komponente, die noch viel mehr Bedeutung hat. 

In meiner ersten Matheklausur auf dem Gymnasium habe ich eine vier geschrieben. Drei Jahre später stand ich im Durchschnitt auf zwei. Später dann wieder auf drei minus. Aktuell schaffe ich gerade so die fünf Punkte.  
Warum ist das wichtig? Während meiner 8 Jahre am Gymnasium habe ich dreimal den Mathelehrer gewechselt.  
Zu einem gewissen Grad sind Noten immer lehrerabhängig. Je nachdem, ob Schüler sympathisch, laut oder etwas schwer von Begriff sind, geben fast alle Lehrer – meist schon unterbewusst – bessere oder schlechtere Noten. Doch in keinem Fach außer Mathe haben meine Noten sich mit Lehrerwechseln so sehr verändert. Denn wirklich gute Mathelehrer sind selten. Leute, die sich gleichermaßen um die sehr guten und sehr schlechten Schüler kümmern können. Die wirklich nach den Ursachen von Verständnisproblemen suchen und nicht einfach mehrmals das Gleiche erklären. Denen das Vermitteln von Inhalten wichtig ist, und nicht nur der Schnitt an der Tafel.  

Die Abneigung gegen Mathe fängt für viele Schüler, wie bereits erwähnt, schon früh an. Diese Motivationslosigkeit führt dann zu einer gewissen Anti-Haltung, mit welcher viele Schüler schon von vornherein in den Unterricht gehen. Die fehlende Motivation wird oft auch durch die falschen Lehrer verstärkt und führt schließlich zu so großen Wissenslücken und Verständnisproblemen, dass viele Schüler ab irgendeinem Punkt einfach aufgeben und – so wie ich – nur noch auf die fünf Punkte hoffen.  

Denn bestimmt hätte ich mehr lernen müssen. Öfter nach Hilfe fragen sollen. Meine Einstellung ändern können.  
Aber vielleicht bin ich auch nur ein weiteres Kind in einem fehlbaren System, dem schon viel zu früh eine Eigenverantwortung aufgelegt wurde, die es einfach nicht tragen konnte, und die dazu geführt hat, dass ich jetzt einfach nicht mehr verstehen will. Jegliches echtes Interesse und aller Spaß, den ich jemals an Mathe hatte, sind verschwunden. Ich möchte einfach nur noch mein Abi schaffen, damit ich mich mit diesem Fach nie mehr beschäftigen muss. Und ich weiß, dass ich mit meiner Einstellung nur eine von vielen bin.  

Paula Rudolf 

Ein Kommentar

  • Zeynep Ö.

    Ich finde deine Artikel sehr gut, weil du dich sehr gut ausdrücken kannst. Du hast über ein Thema geschrieben, welches viele Schüler betrifft aus dem Grund kann man sich sehr gut in dich hinein versetzen. Mathe ist ein Hass-Fach, welches viele Leute betrifft und über etwas zu schreiben ,was uns täglich bzw. wöchentlich in der Schule begegnet ist sehr clever. Also im Großen und Ganzen finde ich deine Artikel sehr schön und gut gelungen.

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